Online-Vorträge
Vom 23. bis zum 25. November finden an drei Abenden je drei verschiedene Vorträge mit anschließender Diskussion statt, zusammengefasst in den folgenden Themenblöcken:
[Für mehr Informationen zu den einzelnen Vorträgen und Referent*innen
einfach auf Namen/Titel klicken. Die komplette Programmübersicht findet ihr weiter unten.]
23.11.2020
Themenblock I:
Rassismuskritische Perspektiven auf psychische Gesundheit
16:45 bis 21:15 Uhr
16.45 Uhr
Begrüßung durch Organisatorinnen und Begrüßungsworte der HUG
17.00 – 17.45 Uhr
Kurzvortrag und Gespräch: Amma Yeboah
(Alltags)Rassismus in der Psychologie – Erkennen. Besprechen. Überwinden.
17.45 – 18.15 Uhr
Diskussion
18.15 – 18.30 Uhr
Pause
18.30 – 19.15 Uhr
Gespräch: Stephanie Cuff-Schoettle und Jessica Grafwallner
Auseinandersetzung mit Rassismus in Therapie und Beratung
19.15 – 19.45 Uhr
Diskussion
19.45 – 20.00 Uhr
Pause
20.00 – 20.45 Uhr
Vortrag: Grete Erckmann
20.45 – 21.15 Uhr
Diskussion
24.11.2020
Themenblock II:
(Queer)feministische Perspektiven auf psychische Gesundheit
16.45 Uhr
Begrüßung
17.00 – 17.45 Uhr
Vortrag: Nora Ruck
Einführung in feministische Psychologien und Intersektionalität
17.45 – 18.15 Uhr
Diskussion
18.15 – 18.30 Uhr
Pause
18.30 – 19.15 Uhr
Vortrag: Lotta-Lili Fiedel
19.15 – 19.45 Uhr
Diskussion
19.45 – 20.00 Uhr
Pause
20.00 – 20.45 Uhr
Vortrag: Ariane Brenssell
Kontextualisierte Traumaarbeit
20.45 – 21.15 Uhr
Diskussion
25.11.2020
Themenblock III:
(Selbst-)reflexive Perspektiven auf Psychologie
13.45 Uhr
Begrüßung
14.00 – 14.45 Uhr
Vortrag: Lisa Malich
Kritik durch Kontext: Der Einsatz von Psychological Humanities
14.45 – 15.15 Uhr
Diskussion
15.15 – 17.00 Uhr
Pause
17.00 – 17.45 Uhr
Vortrag: Angelika Grubner
Die Handreichung von Psychotherapie und Neoliberalismus
17.45 – 18.15 Uhr
Diskussion
18.15 – 18.30 Uhr
Pause
18:30 – 19.15 Uhr
Vortrag: Athanasios Marvakis
19.15 – 19.45 Uhr
Diskussion
Übersicht Vorträge & Referent*innen
Rassismuskritische Perspektiven auf psychische Gesundheit
(Alltags)Rassismus in der Psychologie – Erkennen. Besprechen. Überwinden.
17–18.15 Uhr | Kurzvortrag mit anschließendem Gespräch & Diskussion
Rassistisches Handeln, sowie rassistische Diskriminierungserfahrungen im Alltag und im Gesundheitswesen sind wichtige Determinanten von gesundheitlichen Ungleichheiten. In einem Kurvortrag werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Folgen rassistischer Diskriminierung für die psychische Gesundheit skizziert. Im Anschluss an den Kurzvortrag wird in einem Gespräch die (De)Thematisierung von Rassismus in der psychologischen und medizinischen Wissenschaft beleuchtet. Wie können wir die medizinische und klinisch-psychologische Forschung und Praxis zu den psychischen Folgen von Rassismus in Deutschland etablieren? Wie wird der Diskurs innerhalb der universitären Psychologie wahrgenommen und welche Möglichkeiten gibt es, Räume für rassismuskritische Perspektiven zu schaffen? Amma Yeboah wird dabei von ihren langjährigen Erfahrungen aus der Forschung und der klinischen Tätigkeit berichten.
Amma Yeboah ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und forscht zu den Folgen von Rassismus und Sexismus auf die psychische Gesundheit. Sie hatte von Sommersemester 2019 bis zum Wintersemester 2019/2020 eine Gastdozentur an der medizinischen Fakultät, ceres und Gender und Queer Studies der Universität zu Köln. Sie ist Trainerin für Empowerment und Critical Whiteness bei Phoenix e.V. und ist zudem psychodynamische Supervisorin und Coach, DGSv. Amma Yeboah hat langjährige Erfahrungen in der klinischen Praxis.
Auseinandersetzung mit Rassismus in Therapie und Beratung – Ein Gespräch mit Stephanie Cuff-Schoettle und Jessica Grafwallner.
18.30–19.45 Uhr | Moderiertes Gespräch mit anschließender Diskussion
In dem Gespräch mit Dipl. Psych. Stephanie Cuff-Schoettle und Psych. Psychotherapeutin Jessica Grafwallner wird es um ihre praktischen Erfahrungen als rassismussensible Therapeutinnen/Beraterinnen gehen. Wir werden darauf zu sprechen kommen, mit welchen Herausforderungen und Problemen sich ihre BIPoC Klient*innen in der psychologischen Gesundheitsversorgung und während der Therapie konfrontiert sehen und welche Erfahrungen sie mit weißen Therapeut*innen häufig machen. Weiterhin besprechen wir, welche Haltung die beiden Therapeutinnen/Beraterinnen für eine rassismuskritische Beratung und Therapie als notwendig erachtet. Dabei werden wir auch auf verschiedene Angebote und Initiativen zum Thema mentale Gesundheit für BIPoC eingehen.
Stephanie Cuff-Schoettle hat Psychologie auf Diplom an der Humboldt Universität zu Berlin studiert. Nach ihrem Studium absolvierte sie eine Ausbildung als Systemische Familien-Sozial-Therapeutin, später als Integrative Paartherapeutin und Elterntrainerin und arbeitete viele Jahre im Kinder-und Jugendhilfebereich. Von 2016 bis 2019 arbeitete sie bei OPRA (Projekt von Reach Out), der einzigen psychologischen Beratungsstelle Deutschlands für Menschen, die von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffen sind. Aktuell bietet sie sowohl freiberuflich, als auch in Anstellung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Praxis rassismuskritische und -sensible Einzel-, Familien- und Paarberatungen an. Zudem bietet sie Fortbildungen zu verschiedenen assoziierten Bereichen an (z.B. zu den Themen Racial Profiling; Rassismuskritische Beratungspraxis; Folgen rassistischer Gewalt, z.B gegenüber Kindern und Jugendlichen). Im Jahr 2018 launchten sie und ihre Mitgründerin Alina Hodzode ihre Onlineplattform MyUrbanology.de auf welcher sie Schwarze Perspektiven, Expert*innen und Ressourcen sichtbar und verschiedene Workshopformate buchbar machen.
Jessica Grafwallner ist Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) und seit 2019 in Berlin in eigener Privatpraxis tätig. Da für sie ein rassismussensibles Arbeiten, sowie der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen im Vordergrund steht, ist der Großteil ihrer Klient*innen BIPoC, Queer, Migrant*innen. In Zusammenarbeit mit EACH ONE TEACH ONE (EOTO e.V.), einem Netzwerk für die Interessen Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen bietet sie seit diesem Jahr eine niedrigschwellige psychologische Beratung für junge Menschen an. Durch eine gemeinsame Intervisionsgruppe steht sie mit Stephanie Cuff-Schöttle in einem engen Austausch.
“das ist halt so GEMEIN und du kannst schreien und keiner hört das” – Rassismuserfahrungen und Umgang mit Rassismus von Menschen aus urbanen “Problemvierteln”
20–21.15 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Für Menschen, die in sogenannten urbanen “Problemvierteln” aufwachsen, gehören Diskriminierungs-, Differenz-, und/oder Ausgrenzungserfahrungen verschiedenster Art zum Alltag. In meinem biographiewissenschaftlich-ethnographisch angelegten Forschungsprojekt gehe ich zunächst allgemein der Frage nach, wie Jugendliche in den biographischen Erzählungen ihre Lebenswelt reflektieren, welche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sie thematisieren und wie sie sich im Laufe ihres Lebens dazu verhalten (haben). Die spezifische Chance eines biographieanalytisch-ethnographischen Ansatzes liegt darin, über die individuellen Lebensgeschichten und die eigene teilnehmende Beobachtung einen Zugang zu kollektiven Dimensionen von Erfahrungen und Möglichkeitsräumen zu gewinnen. Nicht nur in den biographisch-narrativen Interviews, sondern auch in Gruppendiskussionen und rezeptiven Interviews mit Menschen aus diesen urbanen “Problemvierteln” werden häufig individuelle und kollektive Rassismuserfahrungen, aber auch struktureller Rassismus als ein relevanter Erfahrungshorizont zum Gegenstand gemacht. Ich möchte hier exemplarisch Transkriptausschnitte von rassifizierten und migrantifizierten Anderen Deutschen (Mecheril) aus meinem noch laufenden Forschungsprojekt mit einer rassismuskritischen Brille interpretieren und erste vorläufige Thesen mit euch diskutieren. Welche Facetten von Rassismuserfahrungen werden von den Betroffenen angesprochen? Wie erleben Jugendliche aus diesen urbanen “Problemvierteln” Rassismus und welchen Umgang gibt es mit dem individuellen und kollektiven psychischen Leid? Warum ist Psychotherapie als Mittel zur Minderung von psychischem Leid für Menschen aus urbanen “Problemvierteln” eher keine Option?
Grete Erckmann, Dipl. psych., Kritische Psychologie, promoviert an der Universität Wien in Bildungswissenschaft zu “Jugend leben” in sogenannten urbanen “Problemvierteln” – eine biographiewissenschaftlich-ethnographische Studie
(Queer)feministische Perspektiven auf psychische Gesundheit
Einführung in feministische Psychologien und Intersektionalität
17–18.15 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Intersektionale Ansätze in der Psychologie gehen davon aus, dass im psychischen Erleben die Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen sozialen Gruppen miteinander verschränkt sind und sich Diskriminierungsformen nicht getrennt voneinander betrachten lassen.
Nach einer kurzen Einführung in (queer-)feministische Psychologien folgt eine gesellschaftstheoretische Fundierung von Intersektionalität und es werden Anwendungsmöglichkeiten in der Psychologie skizziert. Folgende Fragen sollen dabei beleuchtet werden: Wie kann das Konzept der Intersektionalität dabei hilfreich sein, Diskriminierungserfahrungen zu verstehen? Welchen Nutzen hat das Konzept für die Therapie? Wie kann das Zusammenspiel von Privilegien und Diskriminierung zu Prozessen der Übertragung und Gegenübertragung führen?
Nora Ruck ist promovierte Psychologin mit Hintergrund in Kulturwissenschaften und feministischer Wissenschaftsforschung. Studiert und geforscht hat sie in den Niederlanden, Deutschland, den USA und Kanada. Zur Zeit arbeitet Nora Ruck als Assistenzprofessorin für Psychologie an der Sigmund Freud Privat Universität Wien, wo sie als Vizedekanin für Forschung tätig ist, das PhD Studium in Psychologie leitet und das Master Studium „Sozialpsychologie und psychosoziale Arbeit“ mit koordiniert.
Von Diagnosen, die verletzen und Verletzungen, die nicht diagnostiziert werden – Plädoyer für eine zweigleisige Kritik von Klassifizierungen psychischer Störungen im Kontext von Geschlechterverhältnissen
18.30–19.45 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Eine zentrale Kritik queer-feministischer Psychologien betrifft die Pathologisierung von Verhalten und Erleben, das von Gendernormen abweicht – wie zum Beispiel die erst 1991 aus dem ICD-10 gestrichene Diagnose „Homosexualität“. Diese Kritikstrategie stößt jedoch dort an ihre Grenzen, wo eine Kategorisierung als psychisches Problem eine Anerkennung von psychischen Verletzungen darstellt, die im Kontext von Macht- und Geschlechterverhältnissen erfahren werden, beispielsweise traumatische Erfahrungen durch sexualisierte Gewalt. In meinem Beitrag plädiere ich daher dafür, die Kritik der Pathologisierung durch eine Kritik der mangelnden Problematisierung psychischer Verletzungen zu komplementieren. Denn auch diese kann Geschlechterverhältnisse stützen: Die Frage, welche und wessen Verletzungen als Problem und nicht als Normalität anerkannt werden steht im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Klassifizierungen psychischer Störungen gilt es dementsprechend nicht nur darauf zu untersuchen, ob sie selbst verletzen – sondern auch darauf, ob sie Verletzungen im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen berücksichtigen. Am Beispiel der Geschichte der Aufnahme von PTBS als Diagnose in DSM und ICD zeige ich auf, wie sich diese zwei Analysestrategien gegenseitig ergänzen können und wie sich dabei die Kritik an Diagnosen verschiebt.
Lotta Fiedel hat Psychologie und Gender Studies in Marburg studiert. Aktuell arbeitet sie an der Fertigstellung ihrer ethnografisch angelegten Dissertation über die (gruppen-)psychotherapeutische Bearbeitung von ‚Störungen der Autonomie‘, die im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs Selbst-Bildungen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg gefördert wurde. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Subjektivierungstheorie, Empirische Subjektivierungsforschung zu Psychotherapie, Qualitative Methoden sowie die Integration von Gender in die Lebenswissenschaften mit besonderem Fokus auf Gesundheitswissenschaften und Klinischer Psychologie.
Kontextualisierte Traumaarbeit
20–21.15 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Was ist das Besondere an einer kontextualisierten Traumaarbeit?
Die vorherrschende Traumdebatte in der Psychologie und Psychiatrie hat gravierende Leerstellen. Sie basiert größtenteils auf der Forschungsmethodik der Variablenforschung, die sowohl Subjektperspektiven als auch gesellschaftliche (Macht)Verhältnisse systematisch ausblendet. Dies war der Anlass für das Forschungsprojekt „Kontextualisierte Traumaarbeit“, in dem Expertinnen aus Erfahrungen und aus spezialisierten Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt gemeinsam mit einem Forschungsteam untersuchten, was für sie für die Bearbeitung sexualisierter Gewalt hilfreich ist und warum es zentral ist, gesellschaftliche Verhältnisse zu beachten. Eine These wird sein, dass es zu kurz greift, wenn sog. man-made- „Traumata“ reduziert werden auf psychiatrische Symptome oder Neurobiologie. Denn Machtstrukturen sind immer Teil von „traumatischen Prozessen“ (Keilson).
Ariane Brenssell, Prof.in Dr.in ist Diplom-Psychologin, Kritische Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Politikwissenschaftlerin. Seit 2010 ist sie Professorin für Psychologie, Diagnostik und Interventionen in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel. Zuvor arbeitete sie langjährig in der Berliner Fachstelle für sexualisierte Gewalt (Lara) und dem Hip-Hop-Mädchen Projekt gegen Gewalt in Berlin. Von 2015-2019 führte sie gemeinsam mit dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) sowie Expert*innen ein partizipatives Forschungsprojekt zu den Spezifika feministischer, kontextualisierter Traumaarbeit durch. Zuletzt erschienen: Kontextualisierte Traumaarbeit, eine partizipative Forschung. In: Brenssell/Lutz.Kluge: Partizipative Forschung und Gender: 71 – 94 (Budrich Verlag, Opladen).
Demnächst erscheint (12/2020): Brenssell/Hartmann/Schmitz-Weicht. Kontextualisierte Traumaarbeit, Beratung und Begleitung nach geschlechtsspezifischer Gewalt – Forschungsergebnisse aus der Praxis feministischer Beratungsstellen. Hgg. Bff (Berlin)
(Selbst-)reflexive Perspektiven auf Psychologie & Psychotherapie
Kritik durch Kontext: Der Einsatz der Psychological Humanities
14–15.15 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Der Vortrag skizziert die ‚Psychological Humanities’ als einen neuen interdisziplinären Ansatz, der die Psychologie in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtung rückt. Die Relevanz einer solchen Betrachtungsweise ergibt sich nicht nur aus der zunehmenden Psychologisierung verschiedener gesellschaftlicher und kultureller Bereiche, sondern auch aus mehreren aktuellen Vorfällen innerhalb der akademischen Psychologie, etwa der ‚replication crisis’ oder dem ‚Hoffman-Bericht’ über die mögliche Beteiligung von Psycholog_innen an militärischer Folter. Ich argumentiere, dass die Psychological Humanities ein Feld der Reflexion eröffnen können, das eine vielschichtige Kritik an psychologischem Wissen und seinen jeweiligen Praktiken ermöglicht. In dem Vortrag wird das Lübecker Modell der Psychological Humanities vorgestellt, das zwei Perspektiven beinhaltet: (1) den geisteswissenschaftlichen Blick von außen auf die Psychologie, der insbesondere Ansätze aus der Wissenschaftsgeschichte und aus der Kulturwissenschaft einsetzt; (2) unterschiedliche theoretische Perspektiven innerhalb der Psychologie, die erkenntnistheoretische Ansätze, pluralistische Zugänge zum Psychischen und ethische Positionen umfassen. Daraufhin wird der Ansatz der Psychological Humanities am Beispiel von Trauma konkretisiert. Abschließend werden Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Psychological Humanities und dem bereits etablierten Bereich der Medical Humanities aufgezeigt. Insgesamt plädiert der Vortrag dafür, dass es für die Psychologie an der Zeit ist, sich selbst, ihren Gegenstand und ihre Effekte eingehender zu reflektieren, um sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung umfassender zu stellen.
Lisa Malich, Dr. phil., studierte Psychologie und Gender Studies in Berlin und Bloomington, USA. In ihrer Dissertation im Rahmen des Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ (Humboldt-Universität zu Berlin) untersuchte sie die Wissensgeschichte von Gefühlskulturen in der Schwangerschaft. Nach einer Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité ist sie seit 2016 Juniorprofessorin für Wissensgeschichte der Psychologie und Psychotherapie an der Universität zu Lübeck. Lisa Malich publizierte unter anderem zu Zeitkonzepten in der Wissenschaftsgeschichte, zu Werbung für orale Kontrazeptiva, zur Geschichte von Mutterschaft oder zu psychotherapeutischen Gruppentherapie in der DDR.
Die Handreichung von Psychotherapie und Neoliberalismus
17–18.15 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Noch nie waren so viele Menschen davon überzeugt, dass die Psyche eine zentrale Rolle für ein gelungenes oder glückliches Leben spielt. Noch nie gab es ein derart mannigfaltiges psychotherapeutisches Methodenspektrum, das die Psyche zu modifizieren und zu optimieren verspricht wie heute. Und noch nie gab es neben dem äußerst florierenden Markt einen staatlichen Zugang zur Psychotherapie. Was haben diese Phänomene mit der aktuell wirkmächtigen neoliberalen Rationalität zu tun?
Unter Rückgriff auf Michel Foucaults Gouvernementalitätsstudien, in denen er die aktuelle Regierungsweise quasi vorausgesagt hat, wird die These erläutert, dass eine gelebte Handreichung von Psychotherapie und Neoliberalismus besteht.
Angelika Grubner arbeitet als Psychotherapeutin. Sie ist auch Diplomierte Sozialarbeiterin und studiert derzeit Philosophie an der Universität Wien. Zuletzt erschienen: Die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus. Eine Streitschrift. Wien/Berlin: Mandelbaum 2017 und 2018.
Neoliberale Konsequenzen für die Psychologie: neue Arbeitsregime, neue KlientInnen, neue PsychologInnen
18.30–19.45 Uhr | Vortrag mit Diskussion
Die neo-liberale Transformation unserer Gesellschaften bezieht sich nicht nur auf die Arbeitsbedingungen (was ja mit Austerität & Prekarität erstmals gemeint sein mag). Auch zielt »Neoliberalismus« keinesfalls nur auf ökonomische Veränderungen ab – auch wenn die neo- liberalen, drakonischen »Strukturanpassungen« in vielen Ländern eine keinesfalls zu leugnende Tatsache sind. Prekarität & Austerität – als »Superwaffen« des Neoliberalismus – sind nicht nur vermeintliche Folgen solcher Strukturanpassungen, sondern auch eigenständige politische Mittel hin zu einer grundlegenden Rekonfiguration unserer Vorstellungen von Gesellschaftlichkeit, die alle Aspekte der gesellschaftlichen Organisation miteinbezieht: Institutionen, Staat, Arbeit, Individuen, Bedürfnisse, Beziehungen, Rechte etc. Wie Gesellschaft aussieht bzw. auszusehen hat, wird dabei von neuem konfiguriert werden. Die neuen umkämpften Praxen und neuen Arbeitsregime fordern und erschaffen ihrerseits neue Subjektivitäten und neue Praxisformen. So bedeutet, beispielsweise, die Arbeit in einer NGO für eine(n) jung(en) sozialwissenschaftliche(n) AbsolventIn nicht nur prekäre Arbeit; sie beinhaltet auch Veränderungen innerhalb des psychosozialen Rahmens der Arbeit, die bezüglich der Anforderungen und Möglichkeiten für die Subjekte Ähnlichkeiten mit high- tech Arbeitsplätzen aufweisen, z. B. Anwendung von ständig aktualisiertem Wissen, aber auch kontinuierliches Lernen für und während der Arbeit; Aspekte von Forschungstätigkeit und Wissensproduktion etc. Darüber hinaus werden zunehmend auch Tätigkeiten erwartet, die lediglich zur Reproduktion des Arbeitsplatzes beitragen, wie z. B. »manageriale« Aufgaben oder Akquirierung von funds.
Die NGOisierung der (psychologischen) Arbeit schafft auch neue Arbeitsräume, neue Arbeitsinhalte und auch neue Arbeitssubjekte. NGOisierung meint dabei nicht die Ersetzung von Öffentlichem durch Privates, sondern die Schaffung eines neuen Regimes von Beziehungen zwischen öffentlich und privat. NGOisierung charakterisiert mehr eine »Methodologie«, eine Technologie, die die Funktionen aller teilnehmenden Akteure und Konstituenten transformiert, d. h. die NGOs selbst, den Staat und die individuellen Subjekte und ihre Beziehungen etc.